Justiz auf der Wiese: Die Gacaca-Gerichte haben in Ruanda zur Aufarbeitung des Völkermords beigetragen – sie sind aber auch umstritten.
Auf der Wiese setzten sich ruandische Dorfgemeinschaften schon in vorkolonialer Zeit zusammen, um Streitigkeiten um Land oder Vieh zu diskutieren und Täter und Opfer zu versöhnen. Gacacas, die kollektiven „Gras“-Gerichte im Freien, wurden in den letzten Jahren aber auch als ungewöhnliches Forum für die Aufarbeitung des Völkermords bekannt.
Nach dem Bürgerkrieg und dem Genozid 1994 war die juristische Infrastruktur zerstört, die Gefängnisse völlig überfüllt. Um die nationalen Gerichte zu entlasten, entschied sich die Regierung, die Fälle weniger hochrangiger Täter an eine modernisierte, staatlich kontrollierte Variante der Gacacas auszulagern.
Versöhnung statt Bestrafung
Bei den 12 000 Dorfgerichten in ganz Ruanda, die nach einer Pilotphase 2002/2003 ab 2005 wöchentlich stattfanden, verhandelten Laienrichter über 1,2 Millionen Fälle und verurteilten Täter für Delikte wie Körperverletzung, Totschlag, Mord, Raub oder Diebstahl.
Anders als bei westlichen Gerichten ging es bei den Gacacas weniger um Bestrafung, sondern um Wahrheitsfindung und Versöhnung. Die Gacacas sollten das nachbarschaftliche Zusammenleben von Tätern und Opfern erleichtern. Geständige Täter, die sich vor der Dorfversammlung entschuldigten, konnten ihre Gefängnisstrafe oft als Sozialdienst ableisten.
Falsche Urteile und Korruption
Internationalen juristischen Kriterien genügten die Gacacas nicht. Amnesty International kritisierte die mangelnde Ausbildung der Richter und meldete Fälle von falschen Beschuldigungen sowie Korruption. Zuletzt wurden nur noch Gacaca-Fälle, die sich im Berufungsverfahren befinden, beendet. Neue Klagen bearbeitet das konventionelle Rechtssystem. Die nationalen Gerichte alleine hätten für die Aufarbeitung des Völkermords mindestens 100 Jahre gebraucht.
Im Dezember wird die Arbeit der Gacaca-Gerichtshöfe bei einer Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung kritisch diskutiert:
# Veranstaltungsreihe „Transitional Justice in Afrika“
Auftaktveranstaltung:
Zum Abschluss gebracht? Eine Bilanz der Gacaca-Gerichtshöfe in Ruanda
Podiumsdiskussion und anschließende Filmvorführung
Datum: Mittwoch, 7. Dezember 2011, 18.30 – 21.00 Uhr
Ort: Heinrich-Böll-Stiftung, Schumannstraße 8, Berlin-Mitte
Eintritt frei
mit
Leslie Haskell, Beraterin und ehemalige Rwanda Researcher
für Human Rights Watch (HRW), Autorin des Berichts
“Justice Compromised : The Legacy of Rwanda’s Community-Based
Gacaca Courts”, (HRW), Genf
Dr. Ilona Auer-Frege, Koordinatorin, Ökumenisches Netzwerk
Zentralafrika (ÖNZ), Berlin
Filed under: Afrika, Gesellschaft, Kriminalität, Politik, Afrika, Gacaca, Genozid, Justiz, Menschenrechte, Ruanda, Völkermord
Mehr zur Veranstaltung: http://www.boell.de/calendar/VA-viewevt-de.aspx?evtid=10601