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„Das Leben ist ein Hauch“

Meister der Kurven: Der brasilianische Star-Architekt Oscar Niemeyer ist tot – hinterlassen hat er Hunderte von futuristischen Bauten, die Kunstwerke sind.

Am kommenden Samstag, dem 15. Dezember, wäre Brasiliens großer Visionär und Star-Architekt Oscar Niemeyer 105 Jahre alt geworden – doch Niemeyer starb nur wenige Tage zuvor, am 5. Dezember, in Rio de Janeiro. Niemeyer hat Brasiliens architektonische Moderne geprägt wie kein Zweiter, mehr Künstler als Architekt hat er grazil geschwungene, luftige Gebäude in die Welt gesetzt, die riesigen, futuristischen Kunstwerken gleichen.

„Gelebt, gestorben, angeschissen“, kommentierte Niemeyer die Vergänglichkeit, den Tod, der alles mühsam Erarbeite und Erlebte in Sekunden wieder dahinrafft. „Das Leben ist nur ein Hauch.“ Und gleichzeitig arbeitete Niemeyer mit Hunderten von Bauwerken gegen das Vergessen an, sagte einmal, dass von Tausend Bauwerken vielleicht eines ewig sei.

Niemeyer hat intensiv gelebt, er war Genussmensch, typischer Carioca, die Formen seiner Heimatstadt Rio de Janeiros – die Berge, das Meer, die Frauen – hat der Meister der Kurven in Bauwerke übersetzt.

Meister einer ganzen Stadt

Als Oscar Ribeiro de Almeida Niemeyer Soares Filho wurde Niemeyer 1907 in Rio de Janeiro geboren, als Architekt behielt er nur den deutschen Namen, weil er in Brasilien am exotischsten klang. Nach seinem Architekturstudium arbeitete Niemeyer im Büro des brasilianischen Architekten und Stadtplaners Lúcio Costa, später arbeitete er mit Le Corbusier zusammen. Niemeyer experimentierte mit Stahlbeton, Glas, Luft, er setzte Zukunftsvisionen um, die teils an Raumschiffe erinnern, wurde zum Wegbereiter der architektonischen Moderne. Seine Architektur, sagte er einmal, „besteht aus Traum, Phantasie, Kurven und leeren Räumen.“

Mit der brasilianischen Hauptstadt Brasília, die Mitte der 50er Jahre auf dem Reissbrett erdacht und innerhalb von 1000 Tagen mitten im Nichts entstand, erbaute Niemeyer sich ein Freiluftmuseum, er schuf alle öffentlichen Gebäude. Brasília, Bauten in Rio, Sao Paulo, Frankreich, Algerien, das UN-Hauptquartier in New York – über 600 architektonische Projekte hat der Architekt realisiert.

Während der brasilianischen Militärdiktatur wurde Niemeyer, der auch politischer Denker war, in den 60er Jahren ins Exil nach Frankreich gezwungen, wegen seiner Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei. Anfang der 80er kehrte er dann wieder ganz in sein Heimatland zurück. Niemeyer wird in Brasilien verehrt – auch wenn die Funktionalität seiner Bauten manchmal hinter dem künstlerischen Aspekt, der Optik zurücktritt.

Der Tagesspiegel-Reporter Philipp Lichterbeck hat einen Spaziergang durch Brasília gemacht und dabei festgestellt, dass die Gebäude von innen oft nicht halten, was sie von außen versprechen. Das Museum von Niteroi etwa verschmilzt allerdings organisch mit dem atemberaubenden Panorama vor Rio de Janeiro – auf einer Klippe am Meer gelegen, sieht und hört der Besucher das Meer durch den verglasten Raum, fühlt sich wie mitten im Meer.

In dem letzten Dokumentarfilm über Niemeyer, “Das Leben ist ein Hauch” (A VIDA É UM SOPRO), der 2007 zu seinem 100. Geburtstag vollendet wurde, wirkt er erstaunlich agil. Niemeyer hat bis ins hohe Alter Gebäude entworfen. Er verstarb am 5. Dezember 2012 in Rio de Janeiro an den Folgen eines Melanoms. Der Gouverneur des Bundesstaates Rio de Janeiro, Sérgio Cabral, ließ den berühmten Brasilianer mit einer dreitägigen Staatstrauer im Bundesstaat Rio de Janeiro verabschieden. Die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff sagte, Brasilien habe ein Genie, einen Revolutionär und den Mentor einer neuen Architektur verloren.

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